Sie sind hier:

Zwei Berichte, eine Botschaft: Gesetze statt Gnadenwillkür!

Bremen / Bremerhaven, 25.03.2011
Die Landesbeauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit, Dr. Imke Sommer, gibt nachfolgende Pressemitteilung heraus.

Die Landesbeauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit, Dr. Imke Sommer, hat am heutigen Freitag ihre beiden Berichte über die Tätigkeit ihrer Behörde im vergangenen Jahr 2010 vorgelegt. „Die Botschaften aus dem Jahresbericht über den Datenschutz und aus dem Jahresbericht über die Informationsfreiheit lauten gleichermaßen: Die Menschen brauchen zur Durchsetzung ihrer demokratischen Rechte gesetzliche Garantien, deren Einhaltung durch Staat und Wirtschaft sie notfalls vor Gericht einklagen können.“ Die Landesbeauftragte wies dazu darauf hin, dass die Diskussionen des vergangenen Jahres über Wikileaks und Google Street View zeigten, dass freiwillige Zugeständnisse von wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Akteuren die Rechte der Menschen auf Schutz ihrer Privatheit und auf demokratische Beteiligung nicht wirklich zu sichern vermöchten.
In Bezug auf Wikileaks sagte sie in ihrer Eigenschaft als Landesbeauftragte für Informationsfreiheit: „Niemand hat einen Anspruch darauf, dass die amtlichen Informationen, für die sie oder er sich interessiert, an Wikileaks gemeldet und dort veröffentlicht werden. Anders ist es mit Ansprüchen, die durch Informationsfreiheitsgesetze garantiert werden. Das Bremer Informationsfreiheitsgesetz gewährt den Menschen den gerichtlich durchsetzbaren Anspruch darauf, dass Informationen von der bremischen Verwaltung offenbart werden.“Die Novellierung des Bremer Informationsfreiheitsgesetzes sichere dem Informationsregister unter www.informationsregister.bremen.de wichtige Dokumente. „Jetzt ist es gesetzlich festgeschrieben, dass auch beschlossene Senatsvorlagen, Statistiken, Gutachten und Informationen, zu denen Einzelne auf Antrag Zugang erlangt haben, im Informationsregister zu finden sein sollen,“ so die Informationsfreiheitsbeauftragte. „Und noch etwas ist hinzugekommen: Das Recht auf Einsicht in Verträge über die Versorgung mit unseren wichtigsten Lebensgütern wurde gestärkt. Daher kann jetzt die Offenbarung von Verträgen zur Wasserver- und -entsorgung, zur Energieversorgung, zur Abfallentsorgung, zum öffentlichen Personennahverkehr, zur Wohnungswirtschaft und zur stationären Krankenversorgung nur noch im Ausnahmefall verweigert werden. Und ob ein solcher Ausnahmefall wirklich vorliegt, das kann notfalls gerichtlich geklärt werden.“
In ihrer Eigenschaft als Landesbeauftragte für Datenschutz erinnerte Dr. Imke Sommer daran, dass es eine „freiwillige“ Zusage gewesen sei, die den Menschen im letzten Jahr ein Vorab-Widerspruchsrecht gegen die Veröffentlichung der Ansichten des von ihnen bewohnten Hauses auf Google Street View beschert habe. Diese Zusage habe ihr Hamburger Kollege der Firma Google abgerungen. Auf dem Höhepunkt der Debatte seien alle einig gewesen, dass ein Vorab-Widerspruchsrecht „von Googles Gnaden“ zu wenig sei, dass es vielmehr eines Gesetzes bedürfe. Ein entsprechender Gesetzentwurf sei aber über den Bundesrat nicht hinausgekommen. Stattdessen habe die interessierte Wirtschaft jetzt als Akt der Selbstregulierung einen Geodatenkodex entwickelt, der erneut Versprechen mache, die nicht kontrollierbar und einklagbar seien. Ein Vorab-Widerspruchrecht gehöre nicht dazu.
Auch hier werde deutlich, dass Gesetze eben nicht automatisch gleichzusetzen seien mit Bürokratismus. „Das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung und das Recht auf Informationszugang brauchen Gesetze, die diese Freiheiten garantieren und ausgestalten. Die Informationsfreiheit im Land Bremen ist einen deutlichen Schritt vorangekommen. Und zur Stärkung der Privatsphäre sollten wir alle nicht nachlassen, wirksame, gesetzlich garantierte Rechte einzufordern.“
Die aktuell wichtigste Diskussion in diesem Zusammenhang sei die über gesetzliche Regelungen zum Beschäftigtendatenschutz, so die Landesdatenschutzbeauftragte weiter. „Die grundrechtsfreundlichen Änderungen, die der Bundesrat mit großen Mehrheiten am Regierungsentwurf anbringen wollte, sind abgeschmettert worden. Die Konferenz der Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder hat daher in der letzten Woche an den Bundestag appelliert, den Beschäftigtendatenschutz zu stärken, statt abzubauen.“ Die Forderungen der Datenschutzkonferenz lauteten im Einzelnen:

  • „Im Bewerbungsverfahren und im Beschäftigungsverhältnis
    • ist die Erforderlichkeit von Eignungstests und medizinischen Untersuchungen vor der Durchführung der jeweiligen Maßnahme zu dokumentieren,
    • sind Datenerhebungen nur zulässig, wenn und soweit diese Daten wegen der Art und der Ausübung der Tätigkeit oder der Bedingung ihrer Ausübung unabdingbar sind und entscheidende berufliche Anforderungen oder Hindernisse darstellen,
    • sind Eignungstests ausschließlich zulässig, wenn sie auf einer wissenschaftlichen Methode beruhen.
  • Arbeitgeber müssen verpflichtet werden, Bewerber so früh wie möglich umfassend über die Datenerhebung aus allgemein zugänglichen Quellen (zum Beispiel im Internet) und bei Dritten zu unterrichten.
  • Zur Aufdeckung von Straftaten und ähnlich schwerwiegenden Pflichtverletzungen dürfen Beschäftigtendaten nur oberhalb normenklarer und verhältnismäßiger Einschreitschwellen erhoben und verwendet werden. Arbeitgeber dürfen dabei – insbesondere verdeckte – Überwachungsmaßnahmen nur ergreifen, wenn zu dokumentierende Tatsachen vorliegen. Mit Blick auf rechtsstaatliche Anforderungen ist die Grenze zwischen eigenverantwortlichen Recherchen des Arbeitgebers und der den Strafverfolgungsbehörden vorbehaltenen Aufgaben eindeutig zu bestimmen. Aus präventiven Gründen ist eine verdeckte Datenerhebung unzulässig.
  • Insbesondere bezüglich der Durchführung von Screening-Verfahren sind klare materielle Kriterien – zum Beispiel Prüfung der Verhältnismäßigkeit, Vorliegen von tatsächlichen Hinweisen auf Unregelmäßigkeiten – erforderlich. Zudem sollten Arbeitgeber verpflichtet sein, die näheren Umstände, die den Abgleich veranlassen, vorab zu dokumentieren.
  • Die an verschiedenen Stellen im Gesetzentwurf der Bundesregierung vorgesehenen Regelungen zur Verhaltens- und Leistungskontrolle sind nach wie vor zu weitgehend. Der Gesetzgeber muss hier strenge Voraussetzungen vorgeben. Die Konferenz weist auf die gefestigte verfassungsrechtliche Rechtsprechung zum unzumutbaren Überwachungsdruck hin.
  • Die Konferenz der Datenschutzbeauftragten fordert, die offene Videoüberwachung stärker zu begrenzen und insbesondere
    • zu verbieten, die zum Beispiel bei der Qualitätskontrolle anfallenden Daten zur Verhaltens- und Leistungskontrolle zu nutzen,
    • für Bereiche zu untersagen, die nicht nur „überwiegend“, sondern auch der privaten Nutzung dienen.
  • Das Petitionsrecht darf nicht beschränkt werden. Beschäftigte müssen sich jederzeit an die zuständige Datenschutzaufsichtsbehörde wenden können, ohne deswegen benachteiligt oder gemaßregelt zu werden.“
    Die Landesdatenschutzbeauftragte wirbt um Unterstützung für diese Forderungen der Datenschutzkonferenz: „Wir brauchen auch im Land Bremen viele Mitstreiterinnen und Mitstreiter für Regelungen über den Beschäftigtendatenschutz, die diesen Namen wirklich verdienen! Sonst wird vieles, worüber wir uns in der Diskussion über die großen Skandale empörten, zur gesetzlich erlaubten Realität.“